Das Rollenspiel ist tot – es lebe das Erzählspiel!

(Aus diesem Blogeintrag ist unterdessen eine lange Reihe zu PHERS entstanden. Jeweils am Ende jedes Teils davon findet Ihr ein Link zum nächsten Eintrag der Reihe.)

Bald wird es zwei Jahre her sein, dass ich in diesem Eintrag hier über Storytelling gebloggt habe. In der Zwischenzeit hat mich jedoch eine schmerzliche Erkenntnis getroffen: Das klassische Rollenspiel ist tot! Es hat sich nicht nur wieder zu einem Nerd-Hobby zurück entwickelt, nein, es hat seine Identität verloren. Was genau ich damit meine, will ich Euch im Folgenden erklären.

Rollenspiele haben in nur dreißig Jahre eine rasante Entwicklung durchlaufen, die sie von einem avantgardistischen Medium über ein Fast-Mainstream-Produkt zu einem Steckenpferd für Nostalgiker gemacht haben. Diese Entwicklung ist jetzt beendet, es gibt keine Innovationen mehr – und keine Innovation bedeutet den Tod!

Ich will einmal in ganz groben Strichen diese Entwicklung skizzieren: Geboren aus der Schlachtensimulation, welche auf die Ebene einzelner Figuren hinunterskaliert wurde, und mit Elementen des sich zu jener Zeit definierenden Fantasy-Genres versetzt, war das ursprüngliche Rollenspiel Dungeons & Dragons im Prinzip ein Vorgriff auf heutige Multi-User-Dungeons, welcher den Computer durch ein Sammelsurium gedruckter Regeln und einen als Schiedsrichter fungierenden Spielleiter ersetzte. Seine erste Lesart war also diejenige eines Taktik-Spiels, welches in einzelnen Szenarien heutigen Brettspielen sehr nahe kam, und in dem die sorgfältige Planung des eigenen Vorgehens über Erfolg oder Misserfolg entschied. In dieser Urvariante konnte man Spielausgänge noch recht eindeutig mit „gewonnen“ oder „verloren“ beschreiben.

Das Fortführen einzelner Spielfiguren über mehrere Abenteuer hinweg, sowie die Möglichkeit, bei der Charaktererschaffung eine Vielzahl eigener Entscheidungen zu treffen, mündeten dann im Gedanken des Maximierens der eigenen Fähigkeiten, das wir heute mit „Powergaming“ bezeichnen. Auf dieser Spielebene gab es auch keinerlei Grund, dabei ein schlechtes Gewissen zu haben, denn das Spiel war eine taktische Herausforderung, der man selbstverständlich mit allen laut Regeln erlaubten Mitten begegnen durfte!

Wie der Name „Dungeons & Dragons“ noch verrät, fand das eigentliche Spiel zuerst in unterirdischen Verliesen und Höhlen statt, deren Funktion es im Wesentlichen war, Bodenpläne für das Kampfgeschehen zu liefern und den Spielablauf zu ordnen und in übersichtliche Abschnitte einzuteilen. Im simpelsten Fall öffnete man eine Tür, und dahinter befand sich ein Raum mit einem Monster. Man bekämpfte das Monster, und nachdem man es besiegt hatte, sammelte man dessen Schätze ein und öffnete die nächste Tür. Dieser Ablauf ist unzählige Male parodiert worden, aber er stellt nun einmal die Urform des Rollenspiels dar.

Der nächste Entwicklungsschritt passierte, als Abenteuer nicht mehr ausschließlich in Dungeons stattfanden. Monster, die man bekämpfen konnte, waren auch in Wäldern oder Wüsten anzutreffen, und so enstanden aus vereinzelten Spielorten nach und nach Spielwelten. Die sich hieraus ergebenen Konsequenzen würden das Hobby Rollenspiel grundlegend verändern: Sobald der Fokus des Spiels nicht mehr nur auf dem Geschehen in den Verliesen lag, enstanden zwangsläufig komplexere Interaktionen der Spielfiguren mit anderen Figuren. Anstatt diese immer nur zu bekämpfen (oder vielleicht einmal einen Gefangenen zu befreien), begann man sich mit ihnen zu UNTERHALTEN. Soziale Fertigkeiten, die in der Urversion des Spiels praktisch komplett unter den Tisch gefallen waren, rückten immer stärker in den Mittelpunkt.

Diese neu gewonnene erhebliche zusätzliche Komplexität des Spielablaufes machte aus Spielfiguren, die bislang lediglich Ansammlungen von Spielwerten gewesen waren (und sich daher bequem als zum Beispiel „Dritte-Stufe-Paladin“ zusammen fassen ließen) Persönlichkeiten, und das wiederum ermöglichte den Spielern eine IDENTIFIKATION mit ihnen. Man spielte nicht mehr einfach einen generischen Dritte-Stufe-Paladin, sondern Sir Randalph, den jungen Erben der Baronie von Eberholz, welcher die Liebe des Freifräuleins Kunigunde zu erringen ausgezogen war. Für viele Spieler wurde der eigene Charakter zu einem Wunsch-Ich, zu einer Idealisierung ihrer selbst.

Gleichzeitig kam mit der Entwicklung von Spielwelten die Erkenntnis, dass man nicht einfach in generischen Fantasywelten spielen musste, sondern dass die genaue Natur dieser Welten, ebenso wie ihre akribische Ausarbeitung, von Interesse war. Spielleiter, die vorher lediglich Abenteuerszenarien (eben Dungeons) entworfen hatten, befassten sich mit Weltenbau.

Der nächste logische Schritt war die Infragestellung des Fantasy-Genres. Konnte man nicht auch in anderen Welten Abenteuer erleben? Geradezu zwingenderweise entstanden so Space Opera Rollenspiele. (Falls Ihr diesen Begriff nicht kennt: „Space Opera“ ist ein Begriff, mit dem Abenteuergeschichten, welche als Versatzstücke Raumschiffe, Aliens usw. benutzen, von wissenschaftlich fundierten Zukunftsentwürfen, eben Science Fiction, abgegrenzt werden sollen. Ja, Star Wars ist eigentlich eine Space Opera, aber diese Begriffstrennung hat sich offensichtlich nicht allgemein durchgesetzt.) Als weitere Settings boten sich der Wilde Westen, die Mantel-und-Degen-Zeit oder das mittelalterliche Japan an – eben alles, wozu es traditionell zahlreiche Abenteuergeschichten gab. So erschloss sich das Hobby Rollenspiel auch weiteren Spielergruppen, die vielleicht mit Fritz Leiber, Robert Howard und J.R.R. Tolkien wenig anfangen konnten, dafür aber Fans von Karl May oder Perry Rhodan waren.

Bereits zu dieser Zeit fiel natürlich einigen Spieleentwicklern auf, dass sie für im Wesentlichen immer dieselben Dinge jeweils mehr oder weniger unterschiedliche Regeln benutzten. Konnte man nicht Paladine, Piraten, Ninjas, Cowboys und Weltraumsoldaten nach den gleichen Regeln spielen? Im Zug dieser Überlegungen ist dann wohl folgende Kausalität gekippt: Zuerst hatten sich die Spielwelten den Regeln angepasst – wenn Zauberer immer ihre Spruchbücher mit sich führen mussten und Kleriker keine Schwerter benutzen durften, dann richtete sich die Welt danach, und für die überall verstreuten Dungeons mit den darin befindlichen magischen Gegenständen musste auch immer eine Erklärung gefunden werden. Mit der Diversifikation der Settings gewannen die Regeln jedoch immer mehr an Flexibilität, bis sie schließlich zu Simulationen des Geschehens in den Welten wurden: Es waren nicht mehr die Regeln, welche das Aussehen der Welt bestimmten, sondern die Welt verlangte nach Regelprozeduren, welche das Geschehen in ihr widergaben.

Der nächste große Entwicklungsschritt des Hobbys Rollenspiel kam dann mit dem Erscheinen des Lovecraft-Rollenspiels Call of Cthulhu. Das Konzept dieses Spiels war seiner Zeit einfach weit voraus, denn hier wurde eigentlich ein Entwicklungsschritt ausgelassen: Dass neben Fantasy und Science Fiction mit Horror auch der dritte große Pfeiler der Phantastik für das Rollenspiel entdeckt werden würde, das war unausweichlich, aber es hätte doch weitaus näher gelegen, ein Geisterjäger-Rollenspiel im Stil von John Sinclair zu produzieren! Stattdessen aber nahm man sich ausgerechnet Lovecrafts kosmischen Horror zum Vorbild, möglicherweise über eine Querverbindung zu seinen Traumlande-Geschichten, die doch eher der Fantasy zuzurechnen waren. Bei Lovecrafts Horror jedoch waren die Widersacher selten Monster, die man einfach im Kampf besiegen konnte; sie waren machtvolle, unverständliche Wesen und dunkle Götter, deren bloßer Anblick Menschen in den Wahnsinn trieb, und die niemals wirklich besiegt, bestenfalls für eine weitere kurze Zeitspanne an der Rückkehr in die Welt der Menschen gehindert werden konnten.

Call of Cthulhu stellte die Abkehr vom Rollenspiel als Abfolge von Abenteuern dar. Stattdessen stand die von den Charakteren erlebte Geschichte im Vordergrund. Zielsetzung war nicht mehr, seine Spielfigur mit dem Bestehen zunehmend größerer Herausforderungen immer mächtiger werden zu lassen, ja, selbst das bloße Überleben – so schwierig es sich bereits gestaltete – war nicht einmal das Primärziel: Eine Geschichte, in der alle Beteiligten starben oder den Verstand verloren, konnte von den Spielern als Erfolgserlebnis gewertet werden, wenn es dabei gelungen war, die Horror-Stimmung gut einzufangen!

Mit Call of Cthulhu, welches ganz offensichtlich überhaupt nicht auf Powergaming ausgelegt war, emanzipierte sich das Rollenspiel zum ersten Mal vollständig von seinem Spielaspekt: Die Geschichte war wichtiger geworden als der Spielerfolg. Damit einher ging, dass die Spielercharaktere nicht mehr als Wunsch-Ich fungieren konnten – wer wollte schon ein Wunsch-Ich besitzen, welches angesichts übernatürlicher Gefahren kaum weniger hilflos war als man selbst und aller Wahrscheinlichkeit nach schon bald wahnsinnig wurde oder starb? Stattdessen nutzte man sein Alter Ego zur stimmungsvollen, stimmigen und unterhaltsamen Darstellung erfundener Personen, die es sicherlich ansatzweise auch bereits im abenteuer-orientierten Rollenspiel gegeben hatte, sich dort jedoch der pragmatischen Notwendigkeit taktisch erfolgreichen Spiels unterordnen musste.

Seit Call of Cthulhu also wurde klar erkennbar, dass im Rollenspiel der Weg das Ziel sein konnte; dass es möglich war, Kämpfe und andere taktische Auseinandersetzungen der erzählten Geschichte unterzuordnen, anstatt umgekehrt. Damit hatte sich das Spektrum der Spielstile dieses Hobbys nunmehr dergestalt erweitert, dass dessen Extreme miteinander unvereinbar wurden: Powergamer konnten mit dem Storytelling-Prinzip nichts mehr anfangen, und Storyteller fühlten sich in Powergaming-Runden nicht wohl.

Das Storytelling-Prinzip des Rollenspiels erhielt seinen Namen jedoch erst später, mit Vampire: The Masquerade, dem ersten in der World of Darkness angesiedelten Rollenspiel. Vampire zeichnete sich dadurch aus, dass auf eine detaillierte Charakterbeschreibung mehr Wert gelegt wurde als jemals zuvor. Chrakterzüge und gesellschaftlicher Hintergrund traten gegenüber den quantifizierten Attributen in den Vordergrund, ja, dieses Spiel legte seinen Schwerpunkt ursprünglich sogar nicht auf Auseinandersetzungen mit anderen, sondern auf den inneren Konflikt der Vampire, die sich als Monster ihre Menschlichkeit zu bewahren versuchten! (Dieser Aspekt fiel dann später jedoch zunehmend unter den Tisch, da die Kundschaft mehr Wert auf andere Dinge legte.) Die besondere Leistung von Vampire bestand also darin, dass es die Spielerfiguren in den Mittelpunkt der erzählten Geschichte stellte, ja dass diese Geschichten sich aus der Persönlichkeit dieser Figur ergaben. Wo beim ursprünglichen Powergaming die Motivation der Charaktere letztlich selten weit über das eindimensionale „Reichtum und Ruhm!“ hinausging, und bei Call of Cthulhu die Spielfiguren in Geschehnisse hinein gezogen wurden, die sie nur zufällig persönlich betrafen, erzählte Vampire die Geschichten der Spielercharaktere, welche erheblich diversere und detailliertere, aber auch bescheidenere Ziele besaßen, als nur zu überleben und eine höhere Stufe zu erreichen. Vampire stellte außerdem zum ersten Mal moralische Fragen bei Spielentscheidungen in den Vordergrund: Es ging nicht nur mehr darum, wie man seine Ziele erreichte, sondern auch darum, welche Ziele es überhaupt wert waren, erreicht zu werden.

Den letzten Schritt schließlich machte das Hobby Rollenspiel mit dem Erscheinen von Mage: The Ascension (ebenfalls aus der World of Darkness). Mage war, griffig ausgedrückt, „the setting to end all settings“. Mit Mage war ALLES möglich! Das Prinzip der subjektiven Realität riss die Barrieren zwischen den Spielwelten nieder. Universalrollenspiele hatten allgemein anwendbare Regeln für alle Hintergründe geschaffen. Mage wiederum schuf einen Hintergrund, der per Definition alle möglichen Settings einschloss. Das war zwar in der Praxis nicht wirklich relevant, konnte dem Betrachter aber die Augen für eine grundlegende Wahrheit öffnen: Rollenspiele, so zahlreich und unterschiedlich sie auch waren, bildeten zusammen EIN einziges Hobby!

Nun wäre es allerdings an der Zeit gewesen, die Konsequenzen daraus zu ziehen und das ultimative Universalrollenspiel zu entwickeln. Und nein – das gab es noch nicht! Bestehende Universalrollenspiele wie zum Beispiel GURPS (Generic Universal Roleplaying System) bedienen nur eine Hälfte der Universalität. Zwar sind sie für jede denkbare Spielwelt gemacht, aber ihre Regeln sind zu unflexibel. Um alle Spielstile vom taktisch orientierten Powergaming bis hin zum gemeinschaftlichen Geschichten Erzählen abzudecken, müssten die Regeln eines wirklich universellen Rollenspiels in der Lage sein, sich diesen Bedürfnissen anzupassen. Sie müssten in Komplexität und Fokus flexibel sein. Das ultimative Universalrollenspiel muss alle möglichen Spielstile umfassen und alle denkbaren Spielwelten beschreiben können!

…aber damit verlöre es seine Identität. Ein Aspekt von Rollenspielen, den ich bislang weitestgehend ausgeklammert habe ist nämlich der, dass sie eine Ware darstellen, ein Produkt, welches vermarktet werden muss! Diese Vermarktung funktioniert aber nur, wenn der Kunde eine klare Vorstellung davon besitzt, was dieses Produkt darstellt. Shadowrun? Eine Cyberpunkwelt mit Fantasyeinschlag. Degenesis? Ein Endzeitrollenspiel. GURPS? Dieses 3D6-System mit der viertelpunktgenauen Charaktererschaffung.

Rollenspiele, die Hintergrund und Regelwerk miteinander verbunden anbieten, sind wie Essen, das von einem Lieferservice gebracht wird. Systemunabhängige Hintergrundbeschreibungen sind Fertiggerichte. GURPS ist eine Mikrowelle. (GURPS-Quellenbücher sind in dieser Allegorie offensichtlich spezielle Mikrowellengerichte.)

Nun kann man zwar so ziemlich jedes Essen irgendwie mehr recht als schlecht mit einer Mikrowelle zubereiten, aber in vielen Fällen ist das Ergebnis dann eher als geschmacklos bis unappetitlich zu erwarten, und dann gibt es schließlich auch Leute, denen Mikrowellengerichte generell nicht schmecken. Das ultimative Universalrollenspiel entspräche der Küche eines großen Restaurants: Es sind alle Arten, Essen zuzubereiten, bis auf vielleicht die allerausgefallensten, vorhanden, und man kann jede Zutat verarbeiten (und ja, man kann natürlich auch Fertiggerichte aufwärmen). Aber wie viele Menschen fänden sich in einer solchen Küche zurecht? Und wieviele nutzen lieber Bestellservices und Mikrowellen?

Das ultimative Universalrollenspiel wäre schlicht unverkäuflich. Darüber hinaus besteht aber auch für Hobby-Spieleentwickler kein wirklicher Anreiz, es zu schaffen: Wer flexible, schlanke Regeln benutzt, der hat wenig Lust, detailgenaue und ausbalancierte Zusatzregeln zu entwerfen, welche einen Spielstil unterstützen, an dem ihm nichts liegt. Wer wiederum an taktischem Spiel interessiert ist, der wird sich nicht die Mühe machen, von Grund auf ein in seiner Komplexität skalierbares System neu zu entwerfen, sondern baut auf bestehenden Regelkonzepten, die immerhin über viele Jahre von einer großen Spielerschaft getestet wurden auf. Naja, und dann gibt es natürlich jede Menge Spieleentwickler, die als Regeln für ihre Eigenkreationen irgendetwas benutzen, was interessant aussieht oder originell wirkt und nicht merken oder sich nicht darum scheren, dass das Ganze eigentlich keinen Sinn ergibt (davon sind mir schon ein paar begegnet)!

Rollenspiele konnten den letzten logischen Schritt ihrer Entwicklung nicht vollziehen, da sie sich als Produkt über ihre Vielfalt definierten. Der Großteil der Spielerschaft stürzte sich auf einen bestimmten Spielstil und oft auch eine bestimmte Spielwelt. Dieser Umstand wird natürlich auch dadurch gefördert, dass es sehr zeitintensiv ist, sich in die Spielregeln eines Rollenspiels und die Hintergründe einer Welt einzuarbeiten, so dass zu viele unterschiedliche Rollenspiele Nicht-Nerds (und auch viele Nerds) zeitlich schlicht überfordern. Dazu kommen noch die Aspekte des Powergamings und des Wunsch-Ichs, die beide erfordern bzw. ergeben, dass man sich möglichst lange mit dem selben Spielercharakter beschäftigen will.

Der potenzielle Interessent für das ultimative Universalrollenspiel wäre ein Paradox: Er bringt einerseits genügend Interesse auf und Zeit mit, um sich in dieser spielerischen Großküche zurecht zu finden, ist aber andererseits offensichtlich bereit, immer wieder verschiedene Gerichte auszuprobieren, also häufig zwischen Spielstilen und Spielwelten zu wechseln. Das verlangt dann wohl einen professionellen Koch, oder?

Offensichtlich ist die spezielle Identität eines Rollenspiels also für seinen kommerziellen Erfolg wichtig. Aber wie sieht es mit diesem zuletzt eigentlich aus? Konnte man Ende der Neunziger noch von einem gut sortierten Rollenspielladen erwarten, Auswahl aus einer nahezu dreistelligen Anzahl unterschiedlicher Systeme zu bieten, ist heute bereits – zumindest in einem „Brickstore“ – eine zweistellige alles andere als selbstverständlich. Das Schwarze Auge, Dungeons & Dragons, Warhammer Fantasy Roleplay, Warhammer 40000, Shadowrun, Call of Cthulhu – mehr kann man eigentlich nicht erwarten. Die Zeiten, in denen es sich für Spieleläden lohnte, ausschließlich auf Englisch erhältliche Systeme zu führen, sind wohl vorbei, und die neue World of Darkness wurde auf Deutsch eingestellt, während die Vierte Edition von GURPS gar nicht erst auf Deutsch erschienen ist. Wenn von deutschen Randsystemen oder älteren Produkten wie Degenesis, Engel, Private Eye, PP&P, Castle Falkenstein, Midgard oder Earthdawn noch ein Grundregelwerk im Regal steht, dann hat man Glück gehabt. Einst durchaus respektable englische Produktreihen wie RIFTS wird kein halbwegs zurechnungsfähiger Einzelhändler mehr bestellen.

Das Produkt „Rollenspiel“ stirbt. Nur ganz wenige Systeme machen noch wirklichen Umsatz: DSA, die Bildzeitung unter den Rollenspielen, profitiert von seiner jahrzehntelangen Nachwuchsarbeit (und natürlich der Tatsache, dass es komplett deutsch ist); D&D von seiner weltweit marktbeherrschenden Stellung und seinem Ruf als dem Original-Rollenspiel (und trotzdem wird auch diese Produktlinie immer weiter zurückgefahren, und es ist zur Zeit nicht abzusehen, ob sie weiterhin auf deutsch erscheinen wird) und Warhammer von der Synergie mit den erfolgreichen Tabletops. Shadowrun und Call of Cthulhu, die ich früher beide ohne zu zögern als Teile des Rollenspielmainstreams benannt habe, muss man heute wohl als kleine Systeme bezeichnen, die durch eine mittels der Romane starke IP (Shadowrun) bzw. durch eine traditionell starke Fan-Szene am Leben erhalten werden. Ob das mittelfristig genügt, wage ich nicht zu prognostizieren.

Ja, Rollenspiele sterben, und die Ursache dafür ist nicht schwierig zu erkennen: WOW und Konsorten sind natürlich die Übeltäter! Taktisches Spielen, Powergaming, Identifikation mit einem Wunsch-Ich – alle diese Aspekte des klassischen Rollenspiels findet man im Internet, und zwar – das muss man zugeben – erheblich weniger umständlich! Mal ganz ehrlich: Von wie vielen Leuten kann man wirklich erwarten, dass sie auf ein Spiel positiv reagieren, wenn man ihnen dazu ein 300-seitiges DIN-A4-Regelbuch in die Hand drückt? Gerade D&D wird es in nächster Zeit wohl besonders schwer haben, schließlich versucht dieses Spiel einem erst einmal drei Hardcoverbücher für je über 30 Euro zu verkaufen, mit deren Hilfe man dann in eigenständiger Arbeit Szenarien entwerfen soll, die man am Computer durch bloßes Einloggen findet…

Im Internetzeitalter sind „Paper & Pen“-Rollenspiele, welche den Powergaming-Aspekt bedienen, ein Anachronismus und werden zunehmend nur noch von Nostalgikern betrieben. Klar, wenn man sich jahrelang intensiv mit einem dermaßen zeitraubenden und süchtig machenden Hobby befasst hat, dann bleibt man auch dabei – aber wo bleibt der Nachwuchs? Natürlich zu Hause vor dem Monitor. Man kann ihm noch nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, denn so, wie ein Großteil der Rollenspieler dieses Hobby schon immer betrieben hat, geht in der Internetvariante davon einfach nicht allzu viel verloren, während man einen enormen Gewinn an Spielkomfort verzeichnet.

Worauf will ich also hinaus? Nun, Rollenspiele in der Form, die sie seit den Achtzigern hatten, als Konglomerat aus spieltaktischen und erzählerischen Elementen, waren eine epochenabhängige Erscheinung. Powergamer und Storyteller haben sich nie wirklich miteinander wohl gefühlt, kamen aber miteinander mehr oder weniger aus und gingen Kompromisse ein, weil sie einander brauchten. Diese Zeiten sind vorbei: Die Powergamer sind heute im Netz, welches ihre Bedürfnisse einfach weitaus besser befriedigt. Mit den rudimentären erzählerischen Elementen, welche MUDs ihnen bieten, sind sie vollauf zufrieden. Wo aber sind die Storyteller?

Nun, sie finden sich zunächst einmal in einer enormen Minderheit (die Frage „wo“ kann ich doch mit „in…“ beantworten, oder?), vor allem aber befinden sie sich auf der Suche nach einer neuen Identität! Das alte Konzept des „Rollenspielens“ ist tot, und dieser Begriff wurde von anderen Tätigkeiten usurpiert. Um es mit der Begrifflichkeit von Mage auszudrücken: Powergamer und Storyteller, die sich widerstrebend die Realität ihres gemeinsamen Hobbys teilten, haben einen Kampf um die Belegung des Begriffes „Rollenspiel“ geführt, und die Storyteller haben verloren, so wie die Traditionen gegen den von der Technokratie gesteuerten Konsensus verloren haben. Diesen Boden können sie nicht wieder wettmachen; es ist aus und vorbei.

Natürlich können sie noch mit den Nostalgikern wie bisher weiterspielen, selbst wenn auch das letzte „Pen & Paper“ Rollenspiel eingestellt worden ist – ohne sich weiter zu entwickeln und ohne Nachwuchs zu finden, eine Art Veteranentreffen, alternde Rollenspieler und Rollenspielerinnen, die in vergangenen Zeiten schwelgen…

Aber das kann es doch nicht sein, oder? Rollenspielen ist seiner Natur nach ein kreatives Hobby, und es hat in seiner kurzen Lebenszeit zahlreiche Innovationen hervor gebracht! Innovationen sind ein Muss, damit dieses Hobby nicht stirbt. Okay, „Rollenspielen“ ist zwar tot – aber muss das denn für „Storytelling“ ebenso gelten?

Die Powergamer haben den Schritt vollzogen, der ihren Bedürfnissen entspricht. Sie haben sich ein Medium gesucht, in dem die Elemente, auf die sie Wert legen, im Vordergrund stehen, und diejenigen, an denen sie weniger Interesse zeigen, auf das notwendige Minimum zurück gefahren wurden. Wir Storyteller (dass ich mich dazu zähle, wisst Ihr ja) sollten es genau so machen!

Bis zuletzt haben klassische Rollenspiele – auch die ausdrücklich so betitelten Storytelling Games der World of Darkness – sich darum bemüht, den Spagat zwischen Powergaming und Storytelling zu schaffen, einige mit festerem Stand auf der Gamer-Seite, so wie D&D, andere auf der Erzählerseite, so wie Call of Cthulhu. Das ist aber heute nicht mehr nötig und nicht mehr sinnvoll! Mit den Spielelementen können wir Erzähler genau so verfahren, wie die WOW-Zocker mit den erzählerischen Momenten und sie auf das nötige Minimum zurück fahren. Bekenntnisse zu Regeln, deren primäre Funktion es ist, das Erzählen zu unterstützen, konnte man beispielsweise in der World of Darkness immer wieder lesen, aber letztlich wurde dieses Konzept nie konsequent umgesetzt, denn man wollte nicht auf die Inklusion von Elementen verzichten, welche die Powergamer ansprachen (also die Möglichkeit, bei der Charaktererschaffung Stärken zu maximieren, sowie die dazu nötige generelle Spielbalance).

Was ist aber, wenn man sich davon verabschiedet und die Regeln stattdessen von den Erfordernissen des Erzählens her aufbaut? Dann gelangt man zu einem ERZÄHLSPIEL Dies ist der Begriff, mit dem ich diese Tätigkeit, die eben nicht mehr das klassische Rollenspielen sein soll, bezeichnen will (ja, das ist natürlich einfach die Übersetzung von „Storytelling Game“). Und es ist ja auch keineswegs so, dass es das nicht schon gegeben hätte! Kennt Ihr Everway? Amber? Theatrix? …nein?

Ah, das ist natürlich genau das Problem: Keine Sau kennt diese Spiele! Woher auch – selbst in der Rollenspielszene waren sie absolute Exoten, und auf deutsch sind sie natürlich sowieso nicht erschienen. Und das darf auch niemanden wundern, denn einerseits waren sie mit ihren Konzepten ihrer Zeit weit voraus und andererseits auch noch nicht wirklich ausgeklügelt.

Everway und Amber nutzen als Spielwelt beide ein Multiversum unzähliger Welten – ob das ein Zufall ist? In jedem Fall aber sind sie keine Universalrollenspiele, sondern bieten ganz klassisch ein Paket aus Regeln und Spielwelt an, auch wenn diese Regeln würfellos sind. Dabei leiden sie jedoch an Beliebigkeit, wenn Everway zum Beispiel ein selbst entworfenes Kartenspiel zur Resolution von Situationen nutzt (und dabei kontraproduktiverweise die Spielmechanik besonders stark in den Vordergrund stellt, auch wenn die Karten erzählerische Assoziationen hervorrufen sollen) oder Amber die Attribute der Charaktere in einer Auktion unter den Spielern verteilt. Wieder steht die Betonung der Individualität des Rollenspiels im Vordergrund, und eine systematische Aufarbeitung der Rolle, welche die Spielmechanik im erzählorientierten Rollenspiel einnimmt, findet nicht statt.

Und so komme ich zu Theatrix, dem einzigen mir bekannten konsequenten Ansatz, ein Universalrollenspiel vom erzählerischen Aspekt her aufzubauen. Ich besitze es seit einigen Jahren, fand aber nie die Zeit, mich intensiv damit zu beschäftigen – was eine Schande ist! Tatsächlich ist die Hauptschwäche von Theatrix, dass es seiner Zeit voraus war. Ein Rollenspiel, das weder mit einer bekannten oder zumindest wiedererkennbaren Spielwelt in Verbindung zu bringen war, noch ein detailliertes, punktebasierendes System der Charaktererschaffung und komplexe Kampfregeln besaß – wer sollte sich dafür interessieren? Theatrix spricht vom Aufbau einer Geschichte in Termini aus der Theaterwissenschaft; von den Rollen, die Spieler und Gegenspieler in dieser Geschichte wahrnehmen; und von Konfliktresolutionen, die aus dramaturgischen Gründen geschehen, nicht aus regeltechnischen. Es ist unglaublich informativ und steckt voller brillianter Ideen und wird das nächste sein, was ich lese.

…allerdings werde ich es nicht leiten. So viel kann ich nach mehrfachem Durchblättern bereits erkennen, dass mir Theatrix in vielen Fällen zu radikal ist und nicht in allen Punkten meinen Vorlieben entspricht, für mich wichtige Aspekte des Erzählspielens unter den Tisch fallen lässt und für mich uninteressante oder gar lästige überbetont. In jedem Fall aber ist Theatrix das interessanteste Rollenspielkonzept, das mir seit Mage untergekommen ist, eben weil es ein in sich schlüssiges, systematisch aufgebautes ERZÄHLSPIELKonzept ist! Vielleicht gehe ich in einem späteren Eintrag noch einmal genauer darauf ein – andererseits weiß ich nicht wie viel Sinn es hat, sich detailliert mit einem Produkt auseinanderzusetzen, das fast niemand kennt…

Rollenspiele im herkömmlichen Sinn besaßen immer die Qualität einzelner Spiele: Das Schwarze Auge war ein Spiel, Shadowrun ein anderes, und man spielte jeweils eines dieser Spiele. Diese Identitäten waren untrennbar mit der Produktform des Rollenspiels als Ware verbunden, und somit mit seinem kommerziellen Erfolg.

Dieser kommerzielle Erfolg ist nicht mehr vorhanden. Die finanzielle Zukunft – eigentlich längst die Gegenwart – dieser Ware liegt im Internet. Ohne diesen Erfolg aber ist die Produktform tot, und mit der Produktform die Philosophie der einzelnen, unterschiedlichen Spiele, die sich über die Verbindung von Spielregeln und Spielwelt definierten. Wenn ich hier für die Zukunft des Erzählspiels plädiere, welches als Phoenix aus der Asche des klassischen Rollenspiels auferstehen soll, dann beziehe ich mich nicht auf eine kommerziell erfolgreiche Form. Erzählspielen ist kein verkäufliches Produkt, genau so wenig wie Feiern oder Flirten ein solches Produkt ist. Es ist eine Tätigkeit, die jeder ausüben kann, und für die er nicht wirklich Hilfsmittel benötigt, auch wenn natürlich Hilfen oder Ratgeber nützlich sein können. Die Prämisse eines Erzählspiels lautet nicht mehr „Hey, wir haben da ein tolles Spiel entwickelt – kaufe es, und Du kannst es spielen!“ Sie lautet „Erzählspielen macht Spaß, und jeder kann es tun. Wir haben Tipps für Euch, wie es Euch leichter fällt und besonders viel Spaß macht!“

Natürlich geht hier das ebenso elitäre wie nerdige Selbstverständnis vieler Rollenspieler den Bach herunter, dass sie ein Hobby betreiben, welches die meisten anderen Menschen nicht kapieren (insbesondere, weil sie nicht mit den 300-seitigen Regelbüchern klar kommen). Dafür aber öffnet sich dieses Hobby ganz neuen Spielerschichten, insbesondere denjenigen, die Spaß an einer schöpferischen, phantasievollen, unterhaltsamen Beschäftigung haben, ohne sich für endloses Zahlenjonglieren bei der Charaktererschaffung oder das Abwägen der Vor- und Nachteile verschiedener Waffen- oder Zauberarten via detaillierter Analyse ihrer regeltechnischen Modifikatoren zu interessieren – Menschen, die Spaß am Erzählen und Durchleben von Geschichten haben, und die dafür nichts weiter als ihren gesunden Menschenverstand und ihre Kreativität benötigen.

Rollenspiele benötigen Regelwerke, Erzählspiele nicht – sie kommen mit Ratgebern aus. Das erfordert natürlich ein grundlegendes Umdenken, welches über die widerwillig eingestandene Erkenntnis aus vielen Rollenspielregelwerken, dass im Zweifelsfall der Spielspaß und die Erfordernisse der Geschichte wichtiger sind als die Regeln, weit hinaus geht. Von diesem Ansatz aus will ich mich auf Ein Platz für Andi in nächster Zeit mit der Entwicklung eines Leitfadens zum Erzählspielen befassen, und Ihr seid alle herzlich eingeladen, Ideen und Feedback beizusteuern! Das Ergebnis meiner Überlegungen will ich mit PHERS betiteln: PHantastisches ERzählSpielen.

(Zu diesem Eintrag hat sich eine interessante Diskussion entsponnen, die Ihr hier nachlesen könnt.)

(Einen Beitrag, in dem ich versuche, meine Herangehensweise an das Erzählspiel in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu analysieren, könnt Ihr hier finden.)

Zum nächsten Teil: PHERS – Meine Präferenzen

11 KommentareHinterlasse einen Kommentar

  1. Ich finde diese Artikelreihe sehr erheiternd. Sie artikuliert sehr gut meine momentanen Gefühle und Gedanken bezüglich der Richtung in die ich selber mich entwickel.

  2. Mehr Beteiligung -> mehr Teilhabe -> weniger Fremdbestimmung…

    Bin grade erst drauf gestoßen – Wir, die Gruppe mit der ich früher immer spielte, war noch nie in Konventionen zu fassen. Wir saßen auch nen nachmittag im Freien und haben Rollenspiel gemacht ohne System, ohne Würfel.
    Geht alles; massentauglich ist das natürlich nicht.
    Die Entwicklung ist gut beschrieben. Was wohl wahr ist:
    – das kommerzielle RPG ist tot.
    – die community lebt (http://www.mondagor.ch/ – ein interessantes system in ner kruden high-fantasy Welt)
    – Leute, die intensiv storytellen wollen (oder auch extrovertierte powergamer) machen nun auch viel larp (auch wenn hier ebenso eine starke Kommerzialisierung zu bemerken ist)
    – ich warte ja immer noch auf gute storytelling online rpgs (siehe: otherland ^^^,)

    wenn ich zeit habe werd ich mir mal deinen PHERS-Ansatz mal ansehen. Hat das absichtlich MERS anklänge?

    bbb

    Pi

  3. MERS? Ich hoffe doch nicht – da kommst Du doch jetzt nur wegen der Abkürzung drauf, oder? (Oder meinst Du nicht das Mittelerde-Rollenspiel – das ist es nämlich, was ich mit MERS verbinde?)

    Kommerzialisierung an sich ist nicht unbedingt ein Problem (auch wenn sie oft Probleme mit sich bringt), aber LARP ist eben etwas völlig anderes als Storytelling.

    Meine PHERS-Reihe pausiert zur Zeit ein wenig, einmal, weil ich gerade mit etwas anderem sehr intensiv beschäftigt bin, zum anderen, weil der nächste Beitrag vermutlich ein wenig heikel ausfallen wird. Diskussionsstoff solltest Du allerdings bereits genügend vorfinden!

    P.S. – „bbb“? „bestimmt bis bald“? Oder was heißt das?

  4. Ich meinte schon das Mittelerde-Rollenspiel, das ich aber nicht gut fand.
    Klar ist es was völlig anderes, aber ich bin eben beim Larp gelandet weil, ich den Rauch riechen oder die Kälte bei der Nachtwache spüren wollte und ein Kampf nicht nur durch würfeln oder hohe werte „gefährlich“ sein soll(das kann man nun auch doppeldeutig sehen, aber ich bin jemand der es nicht auf selbst- oder fremdverletzungen anlegt). Für mich war das die Fortführung von intensivem Rollenspiel, für die meisten andren nicht.

    bbb ist die kurzform eines formlosen:
    bis bald, best (wishes) als mehrsprachige grußformel gedacht

    bbb

  5. Ich verstehe die Qualitäten des LARP schon, aber das geht halt in eine völlig andere Richtung. Hier hast Du zwar mehr Körperlichkeit und „echte“ Sinneseindrücke, sowie eine reichere Interaktion (denn kein Spielleiter kann hundert einzelne Menschen, denen man begegnet, ersetzen), aber dafür bleibt die erzählte Geschichte auf der Strecke, in Komplexität, Detailliertheit, Stimmigkeit, Stimmung und Anspruch. (Das ist teilweise dem „Pappnasenfaktor“ geschuldet, größtenteils aber ein prinzipielles Problem von LARPS.)

    Im Vergleich LARP vs. Erzählspiel gibt es kein besser oder schlechter, nur unterschiedliche Präferenzen. Dabei ist für mich ein besonders wichtiger Aspekt übrigens auch der, dass ich mir beim Erzählspiel meine Gesellschaft aussuchen kann, was im LARP bestenfalls eingeschränkt möglich ist.

  6. Ich stehe nach wie vor auf das klassische Pen&Paper-Rollenspiel… da ein Spiel meiner Meinung nach verbindliche Regeln benötigt… um (in meinen Augen) wirklich Spaß machen zu können. Regeln gehören auch zur Definition eines Spiels.
    Ich finde Rollenspiele sind nicht direkt tot, sondern sind einfach das was sie schon immer waren… ein Nischenprodukt (leider), aber das macht vielleicht auch den Witz dieses Hobbies aus.
    Ich stehe einfach auf das klassische High-Fantasy-Rollenspiel.

    Ich finde in diesem Artikel wird zu sehr in schwarz/weiß-Pauschalisierungen gedacht.
    Es gibt nicht einfach Storyteller und Powergamer…es gibt eine viel breitere Menge dazwischen.
    Ich denke nicht, dass es wirklich viele Leute gibt die ein P&P-RPG spielen um ihren Charakter perfekt auszubauen und einen so mächtigen Charakter wie möglich auf einem Stück Papier zu bauen, für den es meist nichteinmal Anerkennung von Seiten des Umfelds gibt. Wer ein P&P-RPG spielt will meist Abenteuer erleben oder sonstiges. Natürlich gibt es Leute die ihn die Sparte „Powergamer“ ein zu ordnen sind.

    Ich bin nicht der Meinung dass Rollenspiele tot sind… sie sind halt einfach unpopulär, wie die ganzen nerdigen Hobbies die man so haben kann… Briefmarken sammeln, Modellbau, Magic the Cathering, Rollenspiele…alles nerdige Hobbies, die halt in gut bürgerlichen Livestyle-Welt mitleidig verlacht werden…

    Und das ist eigentlich ganz witzig…ich persönlich hoffe natürlich, dass weiterhin RPG’s geprintet werden… denn ich mag professionell ausgearbeite Welten und Systeme und will mir nicht mein eigenes Zeug basteln müssen (hat nichts mit Fantasylosigkeit zu tun).

    Rollenspiel ist genau so tot oder lebendig wie früher…auch wenn früher vielleicht die Absatzzahlen besser aussahen…
    Aber mit dem Fantasy-Markt gestaltet es sich generell schwierig… der Herr der Ringe Kinofilm und WoW konnten das Genre leider nicht so stark in die Mitte der Gesellschaft rücken wie zum Beispiel Spiderman und Fanta 4 das Genre Comics.
    Nach dHdR blieb der große Fantasy-Kinofilm Ansturm leider aus… während hingegen nach den Fanta 4 und Spiderman 1 eine wahre SuperheldencomicKinofilmwelle losgetreten wurde, die ja im Prinzip noch immer anhält.

    Man kann nicht sagen Rollenspiel ist tot und Storytelling lebt… dieses Storytellingding machen ja noch viel weniger Leute…

    Ich denke, das ist einfach ein Stück weit Wunschdenken des Artikelverfassers.

    mfg: Magico

  7. Hmm…
    Dieser Artikel hat mich ziemlich nachdenklich gestimmt.
    Ich persönlich finde sowohl LARP als auch Pen und Paper ALS AUCH Mmorpgs wie World of Warcraft phantastisch und schön.

    Aber vielleicht stimmt es, dass allen irgendetwas bestimmtes fehlt, das ein anderes der systeme hat.

    In Wow ist mir immer sehr stark aufgefallen, dass alle um mich rum schon Stufe 60+ waren, als ich noch mit Stufe 17 Monstern gerungen habe – weil ich das so genannte grinding nicht gerne mache! Ein Quest, eine Aufgabe, ein Ziel. Und darin verliert sich der Reiz von WoW, denn die Aufgaben sind leider immer die gleichen, die wirklich interessanten sind nur in einer Gruppe spielbar. Wie eine Gruppe formen wenn alle viel schneller leveln als ich? Schwierig.
    In MMORPGs fehlt mir also der Bezug zur Welt. Sie ist auf dem Bildschirm, sie ist wunderschön – aber ich lebe irgendwie nicht darin, wie ich es mir wünschen würde… Und der Charakter ist einfach nur ein Name.

    Pen und Paper Rollenspiele sprechen mich schon seit einer Weile an, aber bisher habe ich nur 1 1/2 mal gespielt :( Einmal DSA mit meinen Freunden und einmal DeGenesis auf der Leipziger Buchmesse, mit Unbekannten. Bei P&P Rollenspielen fällt es mir schwer, das Rollenspiel gut rüber zu bringen. Das kann allerdings sein, weil ich noch so unerfahren bin, wer weiß. Dafür aber, kann ich in die Welt eintauchen, ein Alter-Ego erfinden, das Geheimnisse, Wünsche, Stärken und Schwächen hat, wie eine echte Person. Das fasziniert mich ungemein! Am liebsten würde ich mal mit „Profis“ eine Runde DSA spielen, auch gerne ein Abenteuer das nicht so Kämpfe lastig ist. (Was die Jungs in meiner Gruppe dazu sagen würden, kann ich allerdings nicht prophezeien) Aber wie solche Profis finden, die bereit sind, sich mal in die Karten schauen zu lassen? Rollenspiel übers Internet ist zwar möglich, aber… naja.

    Schlussendlich LARP. Woah! Genial! Am Lagerfeuer sitzen, seinen Charakter spielen, das ist doch bestimmt umwerfend atmosphärisch! Zumindest stelle ich es mir so vor. LARP wollte ich schon mit 13 machen, da wurde ich in der Community arg unhöflich darauf hingewiesen dass „Kinder sowas nicht können“. Hmpf. Zumal der Kostenfaktor ziemlich hoch ist, habe ich seitdem keinen Versuch mehr unternommen. Aber trotzdem… woah!

    Jetzt bin ich 17 Jahre, ein Mädchen das hoffentlich in zwei Jahren sein Abitur macht, und in den nächsten Osterferien wieder DSA spielen wird. Kann ich mich zum dünn gewordenen „Nachwuchs“ zählen? Und es stellt sich mir die Frage, wie der „Nachwuchs“ erzogen werden soll – Da doch die Veteranen eher unter sich bleiben?

    Und dieses Erzählspiel finde ich auch spannend… nur wäre ich da wieder mal zu schüchtern ordentlich mit zu machen, denke ich. Naja, wer weiß? Vielleicht.
    Ich jedenfalls denke nicht dass Rollenspiel so ganz begraben werden sollte ;)

  8. Hi Serafin,

    Dein Nick kommt mir bekannt vor – hattest Du früher schon einmal bei mir kommentiert, oder sind wir uns sonst irgendwo im Netz begegnet?

    Zum Thema Anschluss beim Rollenspiel/Erzählspiel finden: Soo schwierig sollte das nicht sein, besonders, wenn es „nur“ um eine DSA-Gruppe geht, und dass „Veteranen“ nur unter sich sein wollen, ist wohl auch ein wenig überzeichnet – tatsächlich sind die meisten Rollenspieler an Nachwuchs durchaus interessiert, wenn sie es ihm auch nicht immer besonders leicht machen, sich einzufinden… Obwohl – wo wohnst Du? Ein wenig klingt das nach einem eher kleinen Ort oder dem platten Land – da wäre das natürlich problematisch… In einer einigermaßen großen Stadt sollte es Dir nicht schwer fallen, Anschluss zu finden, zum Beispiel auch über Internetforen. Solltest Du im Raum Berlin wohnen (irgendwoher kenne ich diesen Nick doch!), könntest Du Dich auch bei mir melden!

  9. Hallo Andi,

    so, endlich bin ich dazu gekommen, Deinen Initialbeitrag zum Thema Phers zu lesen und ihn zu kommentieren. Allerdings wuchs die Textfülle meiner Bemerkungen stetig an, so dass ich mich schließlich dafür entschied, sie in einem eigenen Blog-Artikel zu veröffentlichen. Durch die damit einhergehende Umstellung ist er – hinsichtlich Deines Beitrags – zwar unpersönlicher, da ich einzelne von Dir angesprochene Punkte als Theorien zusammengefasst habe, doch hoffe ich, dass Du dies aufgrund des Veröffentlichungskontextes nachvollziehen kannst. Einer konstruktiven Diskussion (sofern eine solche gewünscht ist) muss dies ja nicht im Wege stehen…

    Der Artikel ist hier zu finden: http://schlossblick.wordpress.com/2010/01/06/das-rollenspiel-aus-storyteller-perspektive-eine-erwiderung/

    Beste Grüße,
    schlossblick

    • Diese Diskussion habe ich dann mal fortgeführt. Meine Antwort kannst Du sowohl als Kommentar auf Deinem Blog als auch als selbständigen Eintrag hier lesen (sie ist nämlich wieder sehr lang geworden).

  10. Hi Andi,

    in deinem Versuch eine Generaltheorie des Rollenspiel, oder besser des Pen and Paper RPGs aufzustellen verlierst du dich leider in Generalisierungen, sowohl über Systeme als auch über ihre Spieler. Gleichzeitig schaffst du es gerade mal zwei Spielstile zu identifizieren, setzt beide als immer absolut und als ultimativen Widerspruch zueinander.
    Es gibt soviele Spielstile wie es Gruppen gibt, und man kann hervorragende Geschichten erzählen, auch wenn man seinen Charakter verbessern will und ein umfangreiches Regelwerk hat. Sich an Regeln orientieren und tolle Geschichten erleben ist kein Widerspruch, Im Gegenteil. Ich habe die Erfahrung gemacht je freier man ein RPG regeltechnisch gestaltet desto beliebiger wird es, angefangen damit, dass die sozialen Fähigkeiten des Spielers die des Charakters sind und es endet irgendwann in einer Belibigkeit des Möglichen und Unmöglichen in einem Setting.
    Kreativität kann sich auf mehr Arten äußern als in einem neuen System, das „die Sache“ vorran bringt und weiter entwickelt. Es ist ein kreativer Prozeß neue Welten zu erschaffen, oder auch neue Charaktere mit neuen Geschichten.
    Kurz um, du machst aus etwas das ein Hobby ist eine Philosophie, wobei du konsequent Ding übersiehst.

    Calimar


Hinterlasse einen Kommentar